Arbeitsgruppe Prof. H.J. Korsch

Einleitung der Diplomarbeit


Husimidichte und Phasenraumentropien für zweidimensionale Quantensyssteme mit gemischt regulär-chaotischer klassischer Dynamik

Georg Groh, Januar 1997

siehe auch:

G. Groh, H. J. Korsch and W. Schweizer
Phase space entropies and global quantum phase space organisation: A two-dimensional anharmonic system 

J. Phys. A 31 (1998) 6897



Die Theorie des deterministischen Chaos ist wohl eine der spektakulärsten Entwicklungen im Bereich der klassischen Mechanik in diesem Jahrhundert. Schon einfache eindimensionale zeitabhängige oder zweidimensionale zeitunabhängige Systeme zeigen trotz eindeutiger deterministischer Beschreibung durch Hamiltonsche Bewegungsgleichungen eine scheinbar regellose Dynamik. Dieses Phänomen wird durch eine extreme Sensitivität der diese nichtintegrablen Systeme charakterisierenden nichtlinearen Gleichungen gegenüber infinitesimalen Variationen der Anfangsbedingungen erklärt. Diese Sensitivität äußert sich in einem exponentiellen Auseinanderlaufen anfangs eng benachbarter Trajektorien, das durch einen positiven Ljapunow-Exponenten [1] beschrieben wird, und führt zu einer fraktalen Geometrie des Phasenraumes [2]. Diese Geometrie wird im Falle von Systemen, bei denen sich der Übergang von regulärer zu chaotischer Bewegung in Abhängigkeit von einem Parameter vollzieht (``soft chaos''), durch eine Koexistenz von invarianten Tori und irregulären Gebieten charakterisiert, wie sich aus dem KAM-Theorem und dem Poincare'-Birkhoff-Theorem ergibt [3].

In der Quantenmechanik ersetzen Wahrscheinlichkeitsaussagen die deterministischen Aussagen der Mechanik. An die Stelle der kanonischen Koordinaten des Phasenraumes treten selbstadjungierte Operatoren in Hilberträumen, und an die Stelle der die Systeme im Rahmen der klassischen Mechanik beschreibenden normalerweise nichtlinearen gewöhnlichen Differentialgleichungen tritt die lineare Schrödingergleichung. Die mit diesem Formalismus intrinsisch verknüpfte Unschärferelation macht es unmöglich, das eben beschriebene Begriffsgebäude in die Quantenmechanik zu übertragen, da die Frage nach extremer Sensitivität gegenüber kleinen Änderungen vor diesem Hintergrund ihre Bedeutung verliert. Zudem führt die Linearität der Schrödingergleichung (im Gegensatz zum irregulären Verhalten klassischer Trajektorien) in endlichdimensionalen Hilberträumen zu einer periodischen Dynamik der Wellenfunktionen. Es ist daher die zentrale Frage des Forschungszweigs ``Quantenchaos'', ob und wie sich die Eigenschaften eines klassisch chaotischen Systems in dem entsprechenden Quantensystem manifestieren. Aufgrund der Zerstörung der invarianten Tori sind die die Zusammenhänge zwischen Klassik und Quantenmechanik gewöhnlicherweise beschreibenden semiklassischen Konzepte, wie z.B. die EBK-Quantisierung, die für integrable Systeme möglich ist, im Falle chaotischer Systeme nicht mehr anwendbar. Ansätze, die eine Quantisierung mittels instabiler periodischer Orbits des chaotischen Systems versuchen, wie z.B. die Gutzwillersche Spurformel [4], sind hier erfolgversprechend, wenngleich auch numerisch schwierig zu handhaben, da im allgemeinen die Berücksichtigung sehr vieler solcher Orbits vonnöten ist.

Deutliche Hinweise auf einen Bezug klassisch nichtlinearer Dynamik mit der Quantenmechanik konnten in Bezug auf statistische Eigenschaften des Eigenwertspektrums festgestellt werden: Die Nächste-Nachbarn-Verteilung der Eigenwerte von Quantensystemen mit klassisch chaotischem Analogon folgt einer GOE-Verteilung, während sie für solche mit einer regulären klassischen Entsprechung Poisson-förmig ist [5][6]. Leider ist dieses Indiz nicht immer eindeutig. Neuere Untersuchungen zu diesem Thema zeigen andere vielversprechende Aspekte auf [7].

Neben den Eigenwerten sind auch die Wellenfunktionen Gegenstand der Untersuchungen. Hier wurden interessante Korrelationen mit den instabilen periodischen Orbits, wie z.B. die Konzentration der Aufenthaltswahrscheinlichkeit längs solche Orbits, sogenannte ``scars'' entdeckt [8].
Experimentell zugänglich bzw. real hinreichend gut modellierbar sind z.B. Billardsysteme, die mit Mikrowellenresonatoren nachgebildet werden [9], oder das Wasserstoffatom im starken Magnetfeld ([10]). Dieses atomare System, das für hinreichend starke Magnetfelder in semiparabolischen Koordinaten durch zwei gekoppelte harmonische Oszillatoren beschrieben wird, ist eines der am häufigsten studierten zweidimensionalen zeitunabhängigen Probleme im Bereich des Quantenchaos.

In dieser Arbeit sollen am Beispiel eines ähnlichen Systems die quantenmechanischen Eigenschaften von Wellenfunktionen mit Hilfe von Phasenraumentropien untersucht werden. Zielsetzung ist hierbei, ein quantitatives Maß für die Regularität bzw. Irregularität einzelner Eigenzustände zu entwickeln bzw. Korrelationen zwischen den globalen Phasenraumstrukturen eines klassisch chaotischen Systems und der quantenmechanischen Dynamik zeitgemittelter Wellenpakete aufzuzeigen bzw. quantitativ zu visualisieren. Dabei geht es auch darum, die Verwendbarkeit der vorgestellten Konzepte, die für eindimensionale zeitabhängige Systeme im Rahmen der Arbeitsgruppe bereits diskutiert wurden [11][12], für zweidimensionale Systeme zu überprüfen.

Da der Phasenraum ein unverzichtbares Hilfsmittel für die klassische Beschreibung dynamischer Systeme darstellt, ist es für das Studium der quantenmechanischen Manifestation klassischen Chaos' nützlich, dieses Konzept auf die QM zu übertragen. Hierzu dienen Quasiphasenraumdarstellungen, wie z.B. Wigner- oder Husimidarstellung. Insbesondere die Husimidarstellung steht in dieser Arbeit im Mittelpunkt und ist Grundlage für die Anwendung der meisten der vorgestellten Entropiekonzepte.

Im ersten Kapitel der Arbeit wird daher ausführlich auf diese Phasenraumdarstellungen der Quantenmechanik eingegangen. Ausgangspunkt ist hierbei die bekannte Wignerdichte, die Wignerdarstellung der Dichtematrix, die in vielen Bereichen der Physik, wie z.B. der Quantenoptik, Anwendung gefunden hat [13]. Ihre fehlende Positivität sowie ihre ungünstige numerische Beherrschbarkeit lassen sie jedoch im Hinblick auf die Zielsetzungen dieser Arbeit gegenüber der ebenfalls diskutierten Husimidichte unattraktiv erscheinen. Da die Verwendbarkeit beider Funktionen für Untersuchungen im Bereich Quantenchaos noch immer kontrovers diskutiert wird (siehe hierzu z.B. [14] und [15]), soll die Wignerdichte auch im weiteren Verlauf der Arbeit nicht ganz unberücksichtigt bleiben. Hauptaspekt bleibt jedoch die Husimidichte. Der kurzen Behandlung der Zusammenhänge beider Funktionen folgt die Besprechung der für die Husimidichte wichtigen kohärenten Zustände. Nach diesen grundlegenden Definitionen werden generelle Zusammenhänge zwischen den Quasiphasenraumdichten bezüglich der Operatorordnung diskutiert, die der Einordnung des zuvor Besprochenen in den allgemeinen Kontext des vor allem in der Quantenoptik verwendeten Formalismus dienen sollen. Im letzten Teil des Kapitels werden Dynamik und Lokalisierungsverhalten von Wigner- und Husimidichte behandelt. Die dargestellten Sachverhalte dienen als Grundlage für die Diskussion in Kapitel 3 sollen die Bevorzugung der Husimidichte gegenüber der Wignerdichte im Hinblick auf den Vergleich zwischen klassischer Mechanik und Quantenmechanik im Limes hquer gegen Null motivieren.

Das zweite Kapitel dient der Behandlung der klassischen Dynamik des in der Arbeit studierten Modells, des Pullen-Edmonds-Systems. Hierbei handelt es sich um zwei gekoppelte harmonische Oszillatoren, wobei der Störterm qx2 q y2das Problem im Gegensatz zum Wasserstoff im Magnetfeld, wo dieser qx2 qy4 + qx4 qy2 ist, insbesondere im quantenmechanischen Fall numerisch leichter beherrschbar macht. Zudem entfallen die nicht immer ganz einfach zu überblickenden Skalierungen des Wasserstoffproblems. Zu Anfang des Kapitels werden zunächst grundlegende Begriffe in Zusammenhang mit gemischt regulär-chaotischer Dynamik rekapituliert, wobei insbesondere das die gesamte Arbeit durchziehende Konzept des Poincare'schnittes vorgestellt wird. Die numerischen Lösungen der Bewegungsgleichungen des Systems werden dann für verschieden Werte des Störparameters diskutiert, um so die Basis für den Vergleich mit der Quantenmechanik zu schaffen.

Im dritten Kapitel soll das Pullen-Edmonds-Modellsystem mit den Methoden des ersten Kapitels quantenmechanisch behandelt werden. Nachdem die Symmetrien des Hamiltonoperators besprochen worden sind, wird diskutiert, wie Matrixelemente, Eigenwerte und Eigenfunktionen gewonnen werden. Danach folgen Abschnitte über die Berechnung von Wigner- und Husimidichte der Eigenzustände. Im darauf folgenden Teil soll ein Überblick über das Verhalten der beiden Dichten mit Hilfe einer zum klassischen Poincare'schnitt analogen Konstruktion gegeben werden. Insbesondere das qualitative Lokalisierungsverhalten der Husimidichte auf den Strukturen des klassischen Phasenraums steht hier im Hinblick auf das vierte Kapitel im Mittelpunkt des Interesses. Auch der Zusammenhang von Husimidichte bzw. Ortsdarstellung mit den klassischen periodischen Orbits wird kurz angesprochen, da dies, wie schon angesprochen, einen Hauptgegenstand vieler Arbeiten über Eigenfunktionen klassisch chaotischer Systeme darstellt. Den Schluß des Kapitels bildet ein Abschnitt über das Lokalisierungsverhalten der Husimidichte auf der klassischen Energieschale. Diese Untersuchung wird vor allem durch die späteren Berechnungen zeitgemittelter Entropien im vierten Kapitel motiviert, wo wegen der großen Anzahl der Zustände Kriterien benötigt werden, die eine beschränkende Auswahl der in die betreffenden Summationen einzubeziehenden Zustände ermöglichen. Als Maß für diese Lokalisierung wird das Integral der Husimidichte über den Poincare'schnitt zur Energie E betrachtet. Diese Funktion wird zunächst für den zweidimensionalen harmonischen Oszillator analysiert, um einen Überblick über Ihr Verhalten zu gewinnen und anschließend auch für das gestörte System untersucht.

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit den schon angesprochenen Phasenraumentropie-Methoden, die eine quantitative Beschreibung des Lokalisierungsverhaltens von Zuständen ermöglichen sollen, bzw. mit deren Hilfe eine quantitative Analyse der Husimidichten zeitgemittelter symmetrisierte Wellenpakete im Sinne der Abbildung der globalen Phasenraumstrukturen des klassischen Systems möglich werden soll. Hierzu wird zu Beginn des Kapitels nach der Rekapitulation grundlegender Definitionen die Shannon-Wehrl-Entropie eingeführt und ihre Verwendung als Unterscheidungskriterium zwischen regulären und chaotischen Zuständen des Pullen-Edmonds-Systems diskutiert. Mit der basisabhängigen Entropie, die die Delokalisierung einzelner Zustände über eine gegebene Basis mißt, wird dann ein weiteres Konzept mit ähnlicher Zielsetzung vorgestellt. Darauf folgt die Behandlung zeitgemittelter Husimidichten von Gaußwellenpaketen, die mit verschiedenen Entropiefunktionalen, wie z.B. der Wehrl-Entropie oder der Renyi-Entropie im Hinblick auf die angesprochene Zielsetzung analysiert werden.

Der Anhang enthält eine komplette Beschreibung der verwendeten numerischen Methoden. Alle wichtigen Berechnungen der Arbeit wurden mit Hilfe eines FORTRAN-Programmes auf einem SC900-Computer des RHRK durchgeführt, das Grundlage und Hauptgegenstand dieses Anhanges ist.


siehe auch:

G. Groh, H. J. Korsch and W. Schweizer
Phase space entropies and global quantum phase space organisation: A two-dimensional anharmonic system

J. Phys. A 31 (1998) 6897


Literatur

    •    [1] H.D. Meyer, Theory of the Liapunov exponents of Hamiltonian systems and a numerical study on the transition from regular to irregular classical motion, Phys. Rev. A 84 (1986) 3147
    •    [2] A.J. Lichtenberg and M.A. Lieberman, Regular and Stochastic Motion, Springer, New York, 1991
    •    [3] M.V. Berry, Regular and irregular motion, in: S. Jorna (editor): Topics in Nonlinear Dynamics, page 16. Am. Inst. Phys. Conf. Proc. Vol.46 1978. (reprinted in R. S. MacKay and J. D. Meiss, Hamiltonian Dynamical Systems, Adam Hilger, Bristol, 1987
    •    [4] M.C. Gutzwiller, Chaos in Classical and Quantum Mechanics, Springer, New York, 1990
    •    [5] H. Köppel H.D. Meyer, E. Haller and L.S. Cederbaum, On the connection between irregular trajectories and the distribution of quantum level spacings, J. Phys. A: Math. Gen. 17 (1984) L831
    •    [6] F. Haake, Quantum Signatures of Chaos, Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 1992
    •    [7] A. Bäcker R. Aurich and F. Steiner, Mode fluctuations as fingerprint of chaotic and non-chaotic systems, (to be published)
    •    [8] E.J. Heller, Bound-State Eigenfunctions of Classically Chaotic Hamiltonian Systems: Scars of Periodic Orbits, Phys. Rev. Lett. 53 (1984) 1515
    •    [9] H.J. Stöckmann and J. Stein, Quantum chaos in billiards studied by microwave absorption, Phys. Rev. Lett. 64 (1990) 2215
    •    [10] W. Schweizer, Das diamagnetische Wasserstoffatom, Harry Deutsch, Frankfurt, 1995
    •    [11] B. Mirbach and H.J. Korsch, Phase Space Entropy and Global Phase Space Structures of (Chaotic) Quantum Systems, Phys. Rev. Lett. 75(1995) 362
    •    [12] N. Moiseyev, H.J. Korsch, and B. Mirbach, Classical and Quantum Chaos in Molecular Rotational Excitation by AC Electric Fields, Z. Phys. D 29 (1994) 125
    •    [13] M. Hillery, R.F. O`Connel, M.O. Scully, and E.P. Wigner, Distribution Functions in Physics: Fundamentals, Phys. Rep. 106 (1984) 121
    •    [14] K. Takahashi, Wigner and Husimi Functions in Quantum Mechanics, Journ. Phys. Soc. Japan 55 (1986) 762
    •    [15] P.A. Dando and T.S. Monteiro, Quantum surfaces of section for the diamagnetic hydrogen atom: Husimi functions versus Wigner functions, J. Phys. B 27 (1994) 2681

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